Vision einer gemeinsamen paneuropäischen virtuellen Holzhochschule

Interview mit Prof. Dr. Hubert Speth, DHBW Mosbach, und Prof. Günter Berger, Fachhochschule Salzburg am Standort Kuchl. Mit freundlicher Genehmigung des Holz-Zentralblatts, erschienen am 29. Januar 2021.

Der Studiengang Holzwirtschaft der DHBW Mosbach erhält zusammen mit drei weiteren europäischen Partnerhochschulen eine EU-Förderung für das Projektvorhaben „Virtual Wood University“. Zusammen mit der österreichischen Fachhochschule Salzburg am Standort Kuchl, der finnischen LAB University of Applied Science in Lahti und der estnischen Universität Tallin erhalten die vier Hochschulen eine Erasmus-plusFörderung für ihr gemeinsames Projekt. Darüber informieren in einem Interview Prof. Dr. Hubert Speth, Mosbach, und Prof. Günter Berger, Kuchl.

Holz-Zentralblatt: Herr Prof. Speth, Sie haben für Ihr Projekt „Virtual Wood University“ eine EU-Förderung von rund 217.000 Euro erhalten. Herzlichen Glückwunsch.

Speth: Vielen herzlichen Dank, aber ich möchte den Glückwunsch gerne an meinen österreichischen Kollegen Günter Berger weitergeben, denn Kuchl hat den Lead in diesem Projekt.

HZ: Herr Prof. Berger, dann möchten wir auch Ihnen recht herzlich gratulieren zu diesem großartigen Erfolg! Worum geht es bei diesem Projekt und was bedeutet: Sie haben den Lead?

Berger: Es ist ein gemeinsamer Erfolg und eine gemeinsame spannende Entwicklung, die vor uns liegt. Gerade die aktuelle Situation zeigt uns, dass wir in der Zukunft – also auch nach dem Lockdown – mehr digitale Lehre bieten müssen, aber auf einem professionellen Niveau jenseits der Improvisation. Der Lead heißt im Projektmanagement, den Überblick über viele europäische Formalia zu behalten, wobei ich von der österreichischen Nationalagentur sehr gut begleitet werde.

HZ: Herr Prof. Speth, wie ist es zu dieser Idee eines gemeinsamen Forschungsprojekts mit vier verschiedenen europäischen Holzhochschulen gekommen?

Speth: Der ursprüngliche Anstoß ging von Finnland aus, unser dortiger Projektpartner Ilkka Tarvainen aus Lahti hat vor zwei Jahren mehrere europäische Holz-Hochschulen zu einer „International Wood Konferenz“ nach Finnland eingeladen. Dort hat er u. a. davon berichtet, dass er durch die Virtualisierung seines Studienangebots seine Studierendenzahlen nahezu verdoppeln konnte. Man muss wissen, dass in Finnland in den Jahren zuvor fünf von sechs Hochschulen ihren Studiengang Holztechnik mangels Studierendenzahlen schließen mussten.

HZ: Und wie ging es dann weiter?

Speth: Da der massive Fachkräftemangel in der Holzbranche und die sinkenden Studierendenzahlen uns alle gleichermaßen betrifft, kam Ilkka Tarvainnen auf die Idee, miteinander virtuelle Holzwirtschafts- bzw. Holztechnikmodule zu entwickeln, die allen Studierenden der teilnehmenden Hochschulen gemeinsam angeboten werden können. Mit dieser Idee kam er dann zu mir nach Mosbach und konnte mich sofort davon begeistern. Mir war jedoch wichtig, dass Günter Berger aus Kuchl mit im Boot ist, weil ich kaum einen Kollegen kenne, der derart kompetent im Bereich des Holzmarketings ist. Lahti wiederum hat sehr gute Kontakte zur Technischen Universität in Tallinn, wodurch mit dem Team von Prof. Jaan Kers die Troika an Fachhochschulen und Dualer Hochschule um eine Wissenschaftliche Universität erweitert werden konnte.

HZ: Herr Prof. Berger, was muss man sich unter einer „Virtual Wood University“ vorstellen? Wie soll das Projekt ablaufen?

Berger: In den Diskussionen und Vorbereitungs-Meetings war uns allen klar, dass eine Digitalisierung der Lehre auch in unserem Sektor Chancen bietet und eine langfristige Notwendigkeit ist. Corona ist gerade am Ende der Einreichungsphase über uns hereingebrochen und somit wäre die Relevanz des Projektes beinahe von der Realität überholt worden, wenn wir nicht schon in unserer Planung einen wichtigen Schritt weiter gegangen wären. In der Digitalisierung können wir Lehrveranstaltungen gemeinsam aus verschiedenen Ländern bespielen. Unddas ist die wirkliche Innovation, die auch ausschlaggebend für den Projektzuschlag war. Alle Kurse, die wir entwickeln, werden zu Beginn immer gemeinsam aus der Sicht von zwei Ländern bearbeitet – und die größeren Module im dritten Jahr jeweils von allen vier teilnehmenden Ländern. Somit beleuchten die Themen neben einem allgemeinen Teil immer auch unterschiedliche Blickwinkel, Marktsituationen und Industrieund Branchenstrukturen im Hintergrund. Für die Studierenden bietet das Abwechslung und ein differenziertes Bild mit wahrscheinlich auch kontroversen Sichtweisen, wodurch man die Vielfalt und die Herausforderungen der Branche bereits im Studium viel intensiver kennenlernen kann.

HZ: Und was geschieht dann nach den drei Jahren mit den Projektergebnissen?

Natürlich müssen die Ergebnisse publiziert werden, sonst würde man kein Fördergeld von der EU bekommen. Aber viel spannender finde ich unsere Vision, dass wir danach das Projekt noch für weitere europäische Holzuniversitäten öffnen wollen. Zum Beispiel haben die ungarische Universität Sopron und die Technische Universtität in Zvolen (Slowakei) bereits Interesse an einer Zusammenarbeit geäußert. Des Weiteren habe ich einen guten Kontakt zu der Fakultät Holztechnik der Napier Universität in Edinburgh; auch mit den dortigen Kollegen kann ich mir eine derartige Zusammenarbeit sehr gut vorstellen.

HZ: Herr Prof. Berger, verstehe ich richtig, dass Studierende aus ganz Europa sich zukünftig an dieser Virtual Wood University einschreiben und sich ihr Studium aus Modulen von allen teilnehmenden europäischen Hochschulen selbst zusammenstellen können?

Berger: Die Vision gibt es. Formal ist das aber noch ein Weg mit kleineren und größeren Hürden. Wir bauen nun eine gemeinsame Basis auf und können dabei inhaltliche und didaktische Konzepte in diesem Projekt wunderbar testen; die Infrastruktur und die funktionierenden Module sollten gut skalierbar sein. Wir sehen in der Projektgruppe derzeit idealistisch die Potenziale und Chancen, aber wir erkennen schon auch die Herausforderungen der verschiedenen Organisations- und Managementstrukturen in den Partnerländern. Auf europäischer Ebene entstehen gerade die ersten „European Universities“ als Verbünde von (großen) Universitäten. Von diesen Entwicklungen und Erfahrungen sollten wir in Zukunft auch profitieren können. Die Zeit spielt gerade für unsere Idee, und wir werden dieses offene Fenster hoffentlich gut nutzen können.

Speth: Wie ich bereits in unserem Interview 2019* gesagt habe, ist jede unsere Fakultäten für sich genommen zu klein, um den gesamten Fächerkanon an einem einzigen Campus anbieten zu können. Wir haben dazu weder die finanzielle noch die personelle Ausstattung. Unsere österreichischen Partner haben z. B. eine große Expertise über Brettsperrholz, die wir in Mosbach wiederum nicht haben. Die Finnen hingegen sind Experten im Bereich der Sperrholzforschung. Und besonders spannend finde ich in diesem Kontext die Universität in Estland. Als wir den Campus in Tallin im vergangenen Jahr besucht haben, wurden wir u. a. in ein Technologiezentrum geführt, das uns fast die Sprache verschlagen hat. Wir fühlten uns wie in einem Science-Fiction-Film in ein anderes Jahrhundert versetzt. An dem dortigen Campus kann man sich z. B. von selbstfahrenden Elektrobussen chauffieren lassen, und kleine autonome Roboter transportieren Materialien von einer Fakultät zur anderen. Einer dieser Roboter soll sogar mal von Chinesen gestohlen worden sein. Man muss sich dieses einmal auf der Zunge zergehen lassen, nicht die deutschen Automobilkonzerne, sondern eine estnische Universität entwickelt einen selbstfahrenden Elektrobus.

HZ: Das hat aber eigentlich wenig mit Holz zu tun, oder?

Speth: Ja, richtig auf den ersten Blick nicht. Aber gerade, wenn wir über Digitalisierung sprechen, dann kann dieses Thema nicht an unserer Branche vorbeigehen. Denken Sie beispielsweise nur an Virtual Show Rooms oder an das Building Information Modeling. Auch unsere Branche wird sich zukünftig intelligenten Dienstleistungen bzw. Produkten immer weniger verschließen können.

HZ: Herr Prof. Berger, nun haben Sie die Zusage der Europäischen Union für das Geld bekommen – was sind die nächsten Schritte?

Berger: Durch die aktuellen Pandemieentwicklungen mussten wir unsere Kickoff-Woche in Finnland schon in die Cloud transferieren, aber wir konnten auch dort sehr produktiv die Grobstruktur der zu entwickelnden Module und die jeweiligen Projektteams definieren. Es entstehen nun parallel die IT-Infrastrukturen und die einzelnen Inhalte, die wir mit Meilensteinen in Jahrespaketen abarbeiten werden. Für die ersten Einheiten muss es relativ schnell gehen, da wir mit den ersten Angeboten im März schon für die Studenten in Finnland und Deutschland verfügbar sein sollen. Die Erstellung, Durchführung und das Feedback durch die Studierenden werden uns in diesem Jahr sicher gut fordern.

HZ: Können Sie schon einige der gemeinsam entwickelnden Module nennen?

Berger: Wir wollen den Studierenden einen Blumenstrauß an Themen und Inhalten bieten, von Marktvergleichen zwischen den Ländern, Entrepreneurship und (neuen) Geschäftsmodellen in der Holzindustrie, Holzwerkstoffe in der Kombination aus Technologie und aktuellen internationalen Marktentwicklungen wie z. B. CLT und Sperrholz, Zukunftstrends und neue Technologien wie VR (Virtual Reality) und AR (Augmented Reality) in der Holzindustrie, aber auch Konsumentenverhalten und Multisensuales Marketing. Diese Vielfalt sollte einerseits die Studierenden motivieren, andererseits aber auch die Vielfalt unserer Branche widerspiegeln.

HZ: Und wo liegen Ihre Schwerpunkte bei diesem Projektvorhaben, Herr Prof. Speth?

Speth: Wie Sie wissen, liegt meine Expertise vor allem im Holzaußenhandel. Daher werde ich in den nächsten Monaten gemeinsam mit den finnischen Kollegen zwei Online-Module über „International Timber Trade“ konzipieren und gemeinsam mit Günter Berger ein Modul über die österreichische und deutsche Holzindustrie.

HZ: Herr Prof. Berger, Sie haben vorhin erwähnt, dass das aktuelle Projekt auf drei Jahre ausgerichtet ist, das heißt, wir treffen uns dann wieder, wenn Sie von Ihrem Anschlussprojekt berichten werden?

Berger: Als Optimist sage ich da gerne zu.